Fallstudie: DB Schenker testet fahrerlose Hoflogistik mit Fernrides Teleoperations-Plattform

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Internationale Warenströme nehmen durch das Wachstum im e-Commerce und global vernetzte Lieferketten stark zu. Die logistische Wertschöpfungskette ist global fast nahtlos verzahnt – es herrscht ein hoher Effizienzdruck. Der derzeit grassierende Fahrermangel ist ein Symptom dieses Umstands. Diesen Problemen lässt sich mittelfristig nur mit einem höheren Grad an Automatisierung begegnen. Doch während in Regallagern mit Standardabläufen bereits ein hoher Automatisierungsgrad erreicht ist, reißt diese Effizienz an der Laderampe ab. Diesel-LKWs fahren mit menschlichen Fahrern, es entstehen Ineffizienzen und Prozesse sind weiterhin manuell.

DB Schenker als führender Logistik-Dienstleister eruiert deshalb konkrete Möglichkeiten zur Automatisierung innerhalb seiner Yards. Erste Tests vollautonomer Fahrzeuge haben allerdings gezeigt, dass diese Technologie noch weit von der Serienreife entfernt ist. Die autonomen Fahrzeuge erfordern allerdings auch eine Anpassung der eng getakteten Prozesse, während gleichzeitig der Warenstrom und der „Bilaterale Betrieb“ mit manuellen LKWs über Jahre bis zur vollständigen Automatisierung aufrecht erhalten werden muss. Somit ist an eine zeitnahe und reibungslose Einbindung vollautonomer Fahrzeuge in diesen komplexen Umgebungen in die heutige Logistik-Wertschöpfungskette noch nicht zu denken.

Das Münchner Unternehmen Fernride bietet mit seiner Teleoperations-Plattform eine Lösung an. Die Plattform (inkl. dahinter liegende Technologie, AI und Hardware-stacks) sowie begleitende Integrations-Dienstleistungen ermöglichen die schrittweise Einführung fahrerloser Prozesse in der Logistik. Dafür wird die menschliche Intelligenz eines sogenannten Teleoperators mit einem semi-autonomen Fahrzeug verknüpft. So können fahrerlose Transporte mittels Teleoperation von einem TO-Center aus durchgeführt werden, ohne bestehende Prozesse zu verändern oder zu destabilisieren.

Das Ulmer Unternehmen KAMAG ist Hersteller von Schwerlast- und Spezialfahrzeugen und mit seinem Wechselbrückenhubwagen „Wiesel“ führend in der Logistikbranche. Zu den „Wiesel“-Kunden zählen namhafte Logistikunternehmen, Versandhäuser, diverse Post- und Industrieunternehmen sowie zahlreiche KEP-Unternehmen (Kurier-, Express-, Paketdienste). DB Schenker ist langjähriger Partner von KAMAG und setzt den elektrischen Wechselbrückenhubwagen „E-Wiesel“ bereits seit Jahren erfolgreich ein.

RECHTLICHER RAHMEN

Der Gesetzgeber gestattet autonomes Fahren auf öffentlichen Straßen noch nicht. Auf geschlossenen Betriebsgeländen können solche Fahrten allerdings durchgeführt werden, wenn die Sicherheit gewährleistet ist. Das gerade in Juni verabschiedete Gesetz der Bundesregierung zum Autonomen Fahren erlaubt erstmals Fahrzeugen, in festgelegten Betriebsbereichen autonom unterwegs sein, wenn eine sogenannte Technische Aufsicht jederzeit das Kraftfahrzeug deaktivieren oder alternative Fahrmanöver freigeben kann. Damit wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Transport der Zukunft geschaffen.

Diese Technische Aufsicht kann ein Teleoperator sein. Was dem Autonomen Fahren heute noch zur Effizienz fehlt, kann Teleoperation z.B. durch eine bessere Auslastung der Fahrer ausgleichen – dieser technologische Beweis wurde mit dem vorliegenden Pilotprojekt erbracht.

DAS PROJEKT

Bereits im Juni 2020 haben DB Schenker und Fernride gemeinsam mit dem Spezialfahrzeug-Hersteller KAMAG ein auf Teleoperation basierendes Pilotprojekt gestartet. Damit sollte ein erster Schritt zum fahrerlosen „Shunting“ , also dem Umsetzen von Wechselbrücken, vollzogen werden. Nach der Aufrüstung eines drive-by-wire-fähigen E-LKW (KAMAG E-Wiesel) und ersten Testfahrten konnte der Test als fahrerloser Prozess auf den operativen Betrieb von DB Schenker übertragen werden – mit Erfolg. Die technische Machbarkeit des teleoperierten Rangierens und Umsetzen von Wechselbrücken konnte belegt werden.

DIE INTEGRATION

Vor dem Start des Projekts analysierte Fernride die Netzwerk-Dichte und -Kapazität auf dem Ladehof von DB Schenker. Da eine ausreichend starke LTE-Abdeckung im gesamten Betriebsgelände festgestellt wurde, war eine dauernde und stabile Verbindung zwischen Operator und Fahrzeug gesichert.

Ebenso vor dem Start wurden die bestehenden Logistik-Prozesse exakt analysiert und abgebildet. Sie bildeten die Grundlage für die störungsfreie Integration des fahrerlosen Fahrzeugs. Zudem waren sie Bestandteil der dezidierten Ausbildung der Teleoperatoren für diesen Einsatzzweck.

Die Teleoperatoren wurden in Fernrides erstem Teleoperation-Center in Europa gezielt mittels Simulation geschult, um im Einsatz sofort sicher und effizient agieren zu können. Das geschieht – ähnlich wie in der Ausbildung von Piloten – durch simulierte Teleoperation eines Fahrzeuges und Unterrichtung in der Teleoperations-Technologie an ihrem Arbeitsplatz. Auf dem Testgelände wird dieses Wissen mit dem realen Fahrzeug verfeinert.

DIE TECHNOLOGIE

Der Prototyp erhielt ein speziell auf das Umsetzen von Wechselbrücken ausgelegtes Sensor- und Kamera-Kit. Zusätzlich wurde er mit Fernrides Teleoperation-Stack ausgerüstet und mit der Fahrzeugsteuerung über eine definierte Schnittstelle vernetzt. Das Zusammenspiel dieser Module wurde in mehreren Integrationsschritten getestet und optimiert.

Über Fernrides sichere und ultra-schnelle Datenleitung (“uRLLC”, ultra Reliable and Low Latency Communications) konnten über das LTE-Netz Kamerabilder der Fahrzeugumgebung in Echtzeit an Fernrides Teleoperations-Plattform übertragen werden. Die Bilder erreichten den einem Fahrzeugcockpit nachempfundenen Platz eines Fahrzeugführers außerhalb des Fahrzeugs.

Dieser Teleoperator konnte so von seinem Bildschirmarbeitsplatz mittels Gaspedal, Bremse, Lenkrad und Joystick gezielte Fahrbefehle ebenfalls in Echtzeit an das Fahrzeug senden. In der Pilotphase befand sich zudem ein Sicherheitsfahrer im Fahrzeug, der allerdings zu keiner Zeit aktiv werden musste.

Mit dieser Aufrüstung zum semi-autonomen Fahrzeug kann der Prototyp zu jeder Zeit durch einen menschlichen Teleoperator außerhalb des Fahrzeugs kontrolliert und sicher gefahren werden.

DAS ERGEBNIS

Mit pilothaften Testbetrieb der Teleoperations-Lösung von Fernride unter Realbedingungen in einem hochfrequentierten Betriebshof konnten die Projektpartner folgende Hypothesen belegen:

  1. Fahrerlose Prozesse lassen sich schon heute im Realbetrieb störungsfrei abbilden – Über Fernrides Teleoperations-Plattform werden menschliche Steuerungsfähigkeiten mit den Möglichkeiten der neuesten Sensor-, Video- und Kommunikations-Technologie verknüpft. Ein fahrerloses Fahrzeug könnte schon in naher Zukunft in bestehende Prozessketten integriert werden.
  2. Fahrerlose Prozesse sind sicher durchführbar – Dem Teleoperator stehen zusätzliche Sensoren und durch die Kamerabilder ein erweitertes Sichtfeld zur Verfügung. Diese zusätzlichen Informationen unterstützen ihn zu jedem Zeitpunkt mindestens so gut wie einen konventionellen LKW-Fahrer. Ein Eingreifen in Echtzeit ist jederzeit möglich, war jedoch im Pilot-Betrieb nicht erforderlich.
  3. Teleoperierte Fahrzeuge können hochpräzise andocken und manövrieren – Teleoperation steht durch umfassende Sensor-Daten, zusätzliche Manöverhilfen per Bildschirm und ultra-schnelle Datentransfers (uRLLC) in Sachen Präzision dem heute manuellen – durch Fahrer ausgeführten Prozesse in Nichts nach.

Nach dem erfolgreichen Testeinsatz der Teleoperations-Technologie kann nun in einem nächsten Schritt die Integration des fahrerlosen Prozesses im Real-Betrieb und ggfs. mehreren Ladehöfen verfeinert und bewiesen werden. Damit wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur autonomen Logistik getan: Mittelfristig steigert der Einsatz der Teleoperation die Fahrzeugauslastung erheblich, beispielsweise durch den Wegfall von Leerlauf während der Ladezyklen. Die Technologie hat enorme Kostenvorteile und kann bei Bedarf schnell skaliert werden und sichert so die Prozess-Stabilität auch in Stoßzeiten ab und begegnet dem akuten Fahrermangel in der Logistikbranche.

Sebastian Schumann, Head of Innovation Portfolio

Teleoperation ist ein erster Schritt auf dem Weg zu unserem Ziel unsere Yards zukunftsfähig zu halten und sukzessive zu Automatisieren. Wir können uns sehr gut vorstellen, dass dieseTechnologie ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie werden wird. Wir sind beeindruckt, was Teleoperation bereits heute leisten kann. Im vorliegenden Projekt wurde von Fernride bewiesen, wie weit die Technologie schon ist.”

Hendrik Kramer, Mitgründer & CEO von Fernride

Gemeinsam mit DB Schenker und KAMAG haben wir gezeigt, dass unsere Teleoperations-Plattform fahrerlos und unter Realbedingungen Wechselbrücken umsetzen kann. Wir konnten alle unsere Kernhypothesen belegen: Teleoperation ist sicher, präzise, performant – und schon heute möglich. Das sind kritische Erfahrungen zu den Einsatzmöglichkeiten autonomer Fahrzeuge, die wir hier gesammelt haben. So verschaffen wir unseren Kunden wie DB Schenker eine hervorragende Ausgangsposition im hoch umkämpften Markt für autonome Logistik.”

Dirk Jahn, Geschäftsführer der KAMAG GmbH & Co KG:

Mit diesem Pilotprojekt zeigen wir welche Möglichkeiten sich für Logistikhöfe ergeben. Wir freuen uns, dass KAMAG mit seinem langjährigen Kunden DB Schenker diesen Prototyp im Realbetrieb testen konnte. Die wertvollen Erfahrungen unterstützen uns bei der weiteren Entwicklung automatisierter Elektrofahrzeuge.“


ÜBER FERNRIDE

Fernride ist die führende Plattform für fahrerlose Logistik-Prozesse. Das “driverless Transportation-as-a-Service-Angebot” (TaaS) des Münchner Startups kombiniert die Effizienz- und Sicherheitsvorteile autonomer Fahrzeuge mit den Fähigkeiten menschlicher Teleoperatoren, um die Lücke zum vollautonomen Transport der Zukunft zu schließen. Fernride arbeitet mit weltführenden Logistikunternehmen, Spezialfahrzeug- und LKW-Herstellern im Rahmen von Forschungs- und Pilotprojekten zusammen. Das TaaS-Angebot von Fernride ermöglicht es ihnen, wesentliche Teile der Logistik-Wertschöpfungskette rentabel und sicher zu automatisieren und fahrerlose Transporte bereits heute durchzuführen.

ÜBER DB SCHENKER

DB Schenker ist der weltweit führende Anbieter von globalen Logistikdienstleistungen. Durch Landverkehr, weltweite Luft- und Seefracht, Kontraktlogistik und Supply Chain Management werden Industrie und Handel beim globalen Güteraustausch unterstützt. Die Value Added Services sorgen für nahtlose Warenströme und schlanke, optimierte Lieferketten. Das Unternehmen verfügt über Top-Positionen in den Bereichen Automotive, Technologie, Konsumgüter, Messespedition, Spezialverkehre und Dienstleistungen für große Sportveranstaltungen und beschäftigt 74.100 Mitarbeitende an 2.100 Standorten.

ÜBER KAMAG TRANSPORTTECHNIK

Transporter von KAMAG stehen weltweit für Spitzentechnologie und besondere Produktqualität. Zuverlässigkeit im täglichen Einsatz, hohe Belastbarkeit und eine lange Lebensdauer machen die Fahrzeuge zum wichtigen Bestandteil von modernen Logistikabläufen. Mit dem Wechselbrückenhubwagen „Wiesel“ ist KAMAG Weltmarktführer in der Logistikbranche. Das Unternehmen gehört zur Firmengruppe „TII –Transporter Industry International“. Die TII Group fokussiert auf Produktqualität und Innovationen für die Zukunft der Schwerlastmobilität. Neben Standorten in Deutschland, Frankreich und Indien verfügt die Gruppe über eine globale Vertriebs- und Serviceorganisation.


Foto: (c) Fernride

Fahrerloser Wechselbrücken Hubwagen auf dem DBS Ladehof Nürnberg

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